Liebe Genossinnen, liebe Genossen
Die SP ist eine grosse Partei und die SP ist eine breite Partei. Das war sie schon immer und viele unserer Erfolge sind dadurch zu Stande gekommen, dass wir einerseits klare und grosse Ziele haben und anderseits viele PolitikerInnen, welche im politischen Alltagsgeschäft immer wieder einen Schritt zu deren Verwirklichung beitragen. Die SP braucht die visionären DenkerInnen und die pragmatischen RealpolitikerInnen, die beide in Respekt zusammenarbeiten.
Die SP ist in den Medien! Haben wir uns das nicht schon oft gewünscht? Doch es ist wie immer, mediale Aufmerksamkeit entsteht aus Konflikten. Sie entzünden sich an wenigen Sätzen in einem über fünfzigseitigen Parteiprogramm. Wer spricht zum Beispiel von den gezielten Massnahmen für Kinder aus benachteiligten Familien? Oder über die ausgezeichneten Ideen zur Gesundheitsförderung? Oder über die konkreten Rezepte gegen die hohe Belastung der Familien durch Krankenkassenprämien? Die meisten Parteimitglieder dürften sich in diesen Punkten und vielen Dutzenden weiteren im Parteiprogramm völlig einig sein.
Wann genau wird der Kapitalismus überwunden sein?
Nun wird gestritten über die «Überwindung des Kapitalismus». Wir gehen auch nach dem Parteitag nicht davon aus, dass das Ende des Kapitalismus bereits nächsten Sonntag bevorsteht. Im Parteiprogramm wurde eine Vision formuliert; im politischen Alltag müssen wir uns darauf beschränken, dem Kapitalismus die schlimmsten Raubtierzähne zu ziehen. Auch die Abschaffung der Armee dauert wohl etwas länger, falls es Bundesrat Maurer nicht im Alleingang schafft. Vielleicht genügt uns in einigen Jahren eine kleine Truppe als Teil eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems.
Visionäre Parteilinke und pragmatische Sozialliberale, wir brauchen beide.
Wir denken, etwas mehr Gelassenheit gegenüber den emotional vorgetragenen Forderungen am Parteitag wäre angebracht. In Lausanne standen sich zwei Lager gegenüber mit unterschiedlichen Ansprüchen, aber beide sehr wohl sozialdemokratisch. Die einen verfolgen in kleinen Schritten als pragmatische PolitikerInnen unsere Ziele und erreichen mit Kompromissen Verbesserungen, von denen die breite Bevölkerung rasch profitiert. Viele von ihnen rechnen wir dem sozial-liberalen Flügel zu. Auf der anderen Seite steht unsere Parteilinke. Mit grossem ethischen Anspruch entwickelt sie Visionen und Ideen. Nicht für morgen, aber wer weiss schon, zu welchem Wirtschaftsystem unsere hartnäckige politische Arbeit in 100 Jahren führen wird? Vor 100 Jahren wurden Vorkämpferinnen und Vorkämpfer der AHV und des Frauenstimmrecht als radikale Spinner bezeichnet.
Starke SP – mit Visionen und Pragmatismus
Statt dass sich die beiden Lager gegenseitig bekämpfen, sollten wir stolz sein auf die Stärke, welche aus dem Zusammengehen der beiden Sichtweisen entsteht. Die SP ist die einzige Partei, welche pragmatischen Lösungen zum Durchbruch verhilft und gleichzeitig mit spannenden Ideen und Visionen Möglichkeiten für eine glücklichere Gesellschaft aufzeigt. Das Nebeneinandergehen von Pragmatismus und Vision schafft in der SP den nötigen Druck, damit heisse Eisen angefasst werden.
Trotz aller Verschiedenheit – Respekt vor dem Andersdenkenden ist Bedingung
Bezeichnend für die Mobilisierung der ethisch stark engagierten Parteilinken waren in Lausanne auch die Reden für das Doppel-Nein bei der Diskussion der Ausschaffungsinitiative und des Gegenvorschlags. Nicht nur die Worte waren von Entrüstung über die rechtliche Ungleichbehandlung geprägt, auch die emotionale Betroffenheit der RednerInnen war spürbar und sichtbar. Die unerfreulichen Reaktionen einiger Anwesender bei aus ihrer Sicht unliebsamen Wortmeldungen, sind nicht tolerierbar. Eine Partei, welche Diskussionen aktiv sucht und stolz auf ihre basisdemokratische Tradition ist, muss solche Auswüchse umgehend unterbinden. Da haben jene unter uns, welche Diskussionen in SP-Versammlungen leiten, am Parteitag in Lausanne einiges gelernt.
Seien wir stolz auf die Breite und demokratische Lebendigkeit unserer Partei und drohen wir nicht gleich mit dem Parteiaustritt, wenn sich in einzelnen Punkten eine andere Meinung durchsetzt. Gemeinsam setzen wir uns ein für Solidarität, Gerechtigkeit, gute Bildung für alle, Umwelt-, und Klimaschutz. Und für diese wichtigen Ziele ist weiterhin grösstes Engagement von uns allen nötig!
Freundliche Grüsse und ein schönes Herbst-Wochenende wünscht
Parteileitung SP Kanton Bern